Schutz und Spielplatz
- Text Marie Bruun Yde
- Fotos Olmo Peeters
Ein Schulneubau im Zentrum der belgischen Stadt Tienen musste sich zwei Herausforderungen stellen: Sonderpädagogik ermöglichen und städtebauliche Dichte auflockern. B-ILD Architects brachten beides in Synergie.
Tienen ist eine Mittelstadt im belgischen Flämisch-Brabant. Erst jüngst haben 51N4E hier den zentralen Grote Markt neu strukturiert. Nur einen Steinwurf davon entfernt entwarfen, etwa zeitgleich, B-ILD Architects eine neue Schule, die PSBO De Sterretjes. Seit 2017 lernen hier circa 100 Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf.
Die Umgebung ist dicht und fragmentiert. Das Gebäude liegt ein Stück von der Straße zurückversetzt auf einem schmalen, sie flankierenden Grundstück, das lange brach lag. Die Nachbarschaft besteht aus Einfamilienhäusern und Gebäuden anderer Schulen. Der Eingang von der Straße ist wenig adressbildend, der Weg zur Schule halböffentlich – geteilt mit der benachbarten Schule. Das neue Gebäude hebt sich deutlich von den Nachbarschulen ab, trommelt aber nicht zu laut, sondern nimmt gestalterisch und farblich durchaus Bezug auf die Umgebung.
Das neue Gebäude soll die Kinder bei der Entfaltung ihrer Fähigkeiten unterstützen. Den Auftrag bekamen B-ILD Architects über den Open Oproep vom Vlaamse Bouwmeester, der Flandern seit Anfang der 00er Jahre zu einer der weltweit interessantesten Regionen für Architektur macht. Die demokratische Grundhaltung des offenen Aufrufs zeichnet sich neben dem fairen Vergabeverfahren durch den baukulturellen Anspruch an den sozialen Wohnungsbau und öffentliche Einrichtungen aus, die nicht nur repräsentative Gebäude wie Museen und Bibliotheken, sondern auch Pflegeheime und eben Schulen (auch solche für Sonderpädagogik) umfassen.
Zwei Hs, drei Spielplätze
Die Schule hat eine klare, H-förmige Konfiguration. Ihr Rückgrat bilden drei Spielplätze auf verschiedenen Ebenen, die über die Mitte des Gebäudes verbunden sind. Der Rest der Schule ist um dieses Zentrum herum organisiert, die Schenkel der Hs umarmen die Spielplätze. So entsteht – anstelle eines großen, agoraphobieriskanten Gesamtschulhofs – eine Landschaft von kleineren, versetzten Spielräumen, die zugleich einen visuellen wie akustischen Puffer zu den Nachbarhäusern und -gärten bilden.
Der erste Spielplatz befindet sich direkt am Eingang, ist überdacht und fungiert auch als Sporthalle der Schule. Dieser Raum ist als Atrium konzipiert, liegt im Boden versenkt und ist doppelt hoch. Die zwei weiteren Spielplätze befinden sich im Freien auf zwei Terrassen – der eine nach hinten auf Erdgeschossniveau, der andere nach vorne zum Eingang auf der ersten Etage über der Sporthalle.
Zwei große Treppen verbinden die Sporthalle mit dem Erdgeschoss, von hier ist die erste Etage über eine weite Treppe erschlossen. Sowohl diese als auch die Treppe vor der Schule haben teils doppelt hohe Stufen und können so als Tribünen für schulinterne oder öffentliche Veranstaltungen genutzt werden. Das Gesicht der Schule nach vorne, bestehend aus Freitreppe, Glasfassade und Terrasse, bildet einen weichen Übergang zwischen Umgebung und Innerem, wodurch es auf ein aufgeschlossenes Wesen der Schule hindeutet. Im Gegensatz zu den benachbarten, in sich gekehrten Gebäuden schätzt die Schule die Nachbarschaft als öffentlichen Raum.
Laut bis leise
Trotz ihrer Extrovertiertheit einerseits, sind andererseits, im Inneren der Schule, Ruhe und Geborgenheit zu finden. In der PSBO konzentrieren sich jene Funktionen im Gebäudekern, die des Rückzugs bedürfen, und so gelingt es, die Umgebung nicht zu kompromittieren. Sowohl deren Durcheinander als auch der Wunsch, davon auf Abstand zu gehen, erfahren Berechtigung. Klassenräume, Flure und Fachräume befinden sich zu den Seiten. Die Klassenräume haben nur Platz für 12 – 15 Schüler:innen. Auch hierfür ist der Grund, den Geräuschpegel niedrig zu halten.
Da Flure für manche Kinder stressig sind, war es den Planern wichtig, Ausgänge stets leicht erreichbar zu halten. So hat jeder Flur gleich mehrere Ausgänge zu den Spielplätzen. Materialität und Möblierung machen sie darüber hinaus warm, ruhig und wohnlich. Einbauschränke aus Holz, rotbraune Böden, Sitzmöglichkeiten, Arbeits- und Spielnischen laden zum Verweilen ein. Überhaupt wirken alle Räume der Schule abschirmend und beschützend. Durchblicke richten sich eher nach innen als nach außen. Auch die Fassade nimmt Teil am Spektrum von laut bis leise. Die Keramikklinker FARO grau-nuanciert im Normalformat von Röben bilden eine visuell gedämpfte Kulisse für das Schulleben. Die Ausbildung der Fassaden im regelmäßigen Läuferverband mit dunklen Fugen betont den zurückhaltenden, grafischen Charakter der Architektur.
Zwei Merkmale zeichnen die PSBO somit aus: Zum einen die durchgehend einfache Struktur und Materialität (die B-ILD noch an ihrem für den Mies van der Rohe Award nominierten, multifunktionellen Warot-Gemeindezentrum fortgeschrieben haben). Zum anderen die komplexe ästhetische Spannweite, mit der die komplementären Bedürfnisse von Intimität und Beisammensein Ausdruck finden, umgesetzt mit Mitteln offensichtlicher Repetition bis hin zur Subtilität. Das Aushalten von Vielschichtigkeit macht die Schule sowohl zu einer positiven Lern- und Lebenswelt für Kinder mit speziellen Bedürfnissen als auch zu einem intelligenten Beispiel innerstädtischer Nachverdichtung.
B-ILD Architects
B-ILD hat seinen Sitz in Brüssel – in der Stadt, die die Architekt:innen als ihre Heimatstadt betrachten. Das Team ist organisch von zwei Personen im Jahr 2009 auf zehn Personen im Jahr 2023 angewachsen. Das Portfolio von B-ILD ist in Bezug auf Umfang und Programm sehr vielfältig, wobei der Schwerpunkt auf öffentlichen Projekten liegt. Mehrere der Aufträge wurden im Rahmen von Wettbewerbsverfahren wie dem Open Call und Oproep Winvorm vergeben. B-ILD wählt Projekte aus, die einen Mehrwert für die Quartiere und die Gesellschaft darstellen.
www.b-ild.com